Gleich vorneweg: Raufgegangen ist er ganz alleine! Herzliche Gratulation!
Schon beruflich spielt Mag. Johannes Ettlinger in einer besonderen Liga. Er ist kein einfacher Musiker, sondern Profi-Musiker und Posaunist in der Wiener Staatsoper. Seine zweite Passion ist das Bergsteigen.
Was also liegt näher als beides zu verbinden und „zur Spitze zu treiben“?
Seine Idee war es, mit einer Basstrompete – einem der Posaune verwandtem Musikinstrument (weil etwas handlicher und teilweise zerlegbar) – auf dem höchsten Punkt unserer Erde zu spielen.
So lernte ich Mag. Ettlinger in meiner Ordination kennen. Nach einem kleinerem Unfall, mit der Frage an mich, ob er mit seinen „Blessuren“ denn auf den geplanten Aconcagua (6961m) – dem höchsten Berg des amerikanischen Kontinents – gehen könnte. Ich freute mich aus drei Gründen über die Konsultation:
1. weil ich selbst passionierter Bergsteiger & Höhenmediziner bin
2. weil ich gerne Menschen beim Erreichen ihrer Maximalziele helfe und
3. weil ich gerne Fragen nachgehe, die nicht immer eine eindeutige Antwort zulassen.
Die mitgebrachten Untersuchungen verhießen keinen „Totalschaden“, also besprachen wir Idee, Taktik, Ziele, Rückzugstrategien und natürlich alles was höhenmedizinisch relevant war.
Bislang hatte Ettlinger den 5642m hohen Elbrus erklommen und so konnte ich einiges von meinen persönlichen Erfahrungen von meiner eigenen Aconcagua Besteigung und dieser Höhenkategorie weitergeben.
Das erklärte Ziel: Ganz rauf!
Nach diesen Gesprächen war klar worum es Ettlinger eigentlich ging,. Den Mount Everest (8848m) und sein Instrument am Gipfel zu spielen. Also machten wir uns daran bereits den Aconcagua für alle relevanten Details der Everestbesteigung als Vorbereitung zu nutzen. Gut informiert über die Höhenkrankheit, Höhenlungenödem, Höhenhirnödem deren Symptome, Selbsteinschätzung, Therapie und weitere Erkrankungen wie Infektionen und Konsequenzen die zu ziehen sind, flog Ettlinger nach Argentinien und wir vereinbarten uns danach zu treffen um alles zu evaluieren und die Vorbereitung für den Everest weiter zu führen.
Ein langer Weg zu gehen
Am Aconcagua musste Ettlinger leider leider umkehren, weil seine Selbsteinschätzung ihm sagte: „Irgendetwas stimmt nicht, meine Leistungsfähigkeit ist nicht wie gewohnt, ich fühle mich nicht gut.“ Er brach am Aconcagua ab und ließ einen Corona-Test durchführen, der positiv war.
Wir besprachen, das Ettlinger den wesentlichsten Teil des Überlebens auf den ganz hohen Bergen unserer Welt mitnehmen durfte: Umzudrehen und gesund heimzukehren, wenn es relevante Probleme gibt und bevor es zu spät ist. Viel wesentlicher als der Gipfelerfolg am Aconcagua, wie ich meinte.
Ich führte alle notwendigen medizinischen Checks nach Ettlingers Corona Infektion durch und unterschrieb seine medizinische Tauglichkeitsbescheinigung für Expeditionen in extreme Höhen.
Mentale Stärke – der Weg zum Erfolg
Wir gingen das Konzept der kognitiven Umstrukturierung durch und Rückschläge entsprechend einzuordnen sowie die relevanten Lehren daraus zu ziehen. Wir konzentrierten uns auf Mentales-Training und Visualisierungstechniken für die harten Trainingseinheiten zu Hause und für den Everest, wenn es ernst wird.
Trainingstaktik, Verletzungsvermeidung und medizinische Aspekte, Medikamente, Seiltechnik und Notfallmanagement gingen wir wiederholt durch, damit es wirklich „sitzt“ wenn es gebraucht wird. Wir besprachen häufig und ins kleinste Detail was auf Ettlinger zukommen wird. Wie sich die dünne Höhenluft anfühlen wird, Kälte, Leistungsfähigkeit, veränderte Wahrnehmung, UV-Strahlung und verbundene Augen- und Haut-Schäden, häufige Erkrankungen die auf solchen Vorhaben auftreten wie infektiöse Durchfälle und Symptome der Höhenkrankheit. Vor allem aber Taktiken zur prophylaktischen Vermeidung all dieser Komplikationen und natürlich die akute (selbst) Therapie derselben.
Natürlich nicht nur zur Selbsteinschätzung, sondern auch zur Einschätzung der Kammeraden.
Bereit sein – für Alles
Was ich Ettlinger unbedingt mitgeben wollte: „In großen Höhen gilt Murphy’s Law zum Quadrat: Alles kann schief gehen! Im schlechtesten Fall bist du komplett auf dich alleine gestellt oder musst sogar noch anderen in Not helfen.“
Die Steigtaktik auf diesen Bergen ist nicht schwer zu vermitteln: „Slow but steady makes the race“. Auch für wirklich fitte und schnelle Bergsteiger wie Ettlinger gilt es eine an den Berg und die Situation angepasste Geschwindigkeit zu finden und immer an die Reserven für Probleme und den (statistisch) gefährlichsten Part – den Abstieg – im Blick zu haben. Gleichzeitig konditionell so fit zu sein, das – wenn nötig – alle Reserven mobilisiert werden können, um sich schnell und sicher aus Gefahrensituationen bringen zu können.
Auf nach Kathmandu
Nach unserer Intensivvorbereitung und zielorientiertem harten Training, ging es für Ettlinger nach Kathmandu. Dort wurde noch zu Akklimatisierungszwecken der Mera Peak (6476m) bestiegen. Wir waren weiter auf allen möglichen Kanälen in Kontakt und gingen weitere Details durch, wie es mit der Akklimatisation voran ging und was noch optimiert werden konnte.
Wir wiederholten immer und immer wieder die wichtigsten Dinge, Höhenkrankheit, Medikamente, Selbsteinschätzung, Therapien, etc. damit auch in Situationen, in denen das Gehirn weniger Sauerstoff zur Verfügung hat, alles abrufbar ist.
Im Everest Basecamp
Im Everest-Basecamp auf 5000m ging es schließlich darum alle vorhandenen Ressourcen zu konsolidieren und möglichst fit und gut erholt los zu starten. Wir blieben weiter in laufendem Kontakt und so konnte ich auch bei einem Darminfekt behilflich sein. Ein Umstand, den man sich wegen der zusätzlichen Dehydrierung nicht wünscht – aber auch nicht immer verhindern kann…
Und dann ging es los. Beim ersten Wetterfenster der Saison und geeigneten Bedingungen startete Mag. Ettlinger mit seiner Gruppe mit dem Ziel in einem Zug auf den Gipfel zu gelangen.
Wir vereinbarten, das Ettlinger sich jederzeit Tag und Nacht über das Satelitentelefon bei mir melden konnte, wenn nötig. Dazu kam es allerdings nicht, denn er war schließlich in allen belangen perfekt vorbereitet und top motiviert.
So stand Mag. Johannes Ettlinger am 13.5.2022 erfolgreich am Dach der Welt – dem Mt. Everest – um mit seiner Bastrompete zu spielen und sich selbst seinen Traum zu erfüllen.
Es war eine großartige Reise! Danke, das ich dabei sein durfte!